Im November ist sie beinahe schon kalendarisch verordnet: Trauer. Trauer ist ein gesunder seelischer Vorgang. Und es ist sehr wichtig, dieses Gefühl auch zuzulassen.
Unsere Gesellschaft will das nicht. Trauer. Gut drauf soll jeder sein, erfolgreich, leistungsfähig. Trauer hat da keinen Platz. Kein Wunder also, dass den November niemand mag. Den Trauermonat. Die Natur ist schon grau, dann noch diese vielen Totengedenktage und ein Fokus auf die Friedhöfe. Trauer ist nicht gewollt. Das war nicht immer so. Und es sollte nicht so sein. Denn Trauer ist gut.
„Trauer ist ein gesunder seelischer Vorgang", sagt Dr. Michael Schüler, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Er beschreibt Trauer als eine seelische und oft auch körperliche Reaktion auf den Verlust eines geliebten Menschen oder etwas sehr Wichtigen, Heimat beispielsweise. „Trauer ist also natürlich und gesund."
Das ist es auch, was Trauer von einer Depression unterscheidet. Dabei sind die Symptome ähnlich: Man schläft nicht mehr, hat keinen Appetit, ist antriebslos. „Aber jeder Trauernde kann sagen, warum es ihm schlecht geht. Der Depressive kann das nicht", erklärt Schüler. Ein weiterer Unterschied zwischen Trauer und Depression ist, dass das Selbstbild, das ein Trauernder hat, erhalten bleibt. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud habe das so ausgedrückt: „In der Trauer ist die Welt öd und leer, in der Depression ist es das Ich selbst."
Das Gefühl „Trauer" wird erlernt. Jeder Mensch lernt von klein auf, was Trauer bedeutet, „man wächst im Laufe seines Lebens in eine Trauererfahrung hinein." Und er lernt auch, wie man Trauer aufarbeitet. Auch das ist ein Unterschied zur Depression – die Trauerarbeit kann man meist selbst leisten, „man kann sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen", erklärt Dr. Michael Schüler. Ein Depressiver kann das nicht. Der Krankheit Depression werde man ohne professionelle therapeutische Hilfe nicht selbst Herr.
Ziel der Trauerarbeit müsse sein, dass man den Menschen, den man in der Außenwelt verloren hat, in sich selbst einen gebührenden Ort schafft, an dem man ihn jederzeit aufsuchen kann, auch in Zwiesprache treten kann. Das entlaste. Zu diesem Ziel gelangt man über die Trauerarbeit.
Trauer hatte früher einen weit öffentlicheren, bewussteren Platz. Man sprach vom Trauerjahr, es gab Symbole, Trauernde trugen oft ein ganzes Jahr schwarz.
Viel der Trauerarbeit, die die Generation vor uns noch kannte, geht in der mobiler und kleiner gewordenen Welt verloren. Die Bestattungskultur trage ihren Teil dazu bei. „Es ist schon ein Unterschied, ob ich Abschied von einem Menschen nehme, der in einer Urne steckt, oder von einem menschlichen Format, einem Sarg", sagt Schüler. Dazu kommt ein Trend zu anonymen Gräbern oder Gräbern, die keiner Pflege bedürfen. Denn dieser Gang zum Grab, dieses Treffen mit anderen Trauernden am Grab, „das sind doch informelle Selbsthilfegruppen". Man hilft sich bei der Grabpflege, spricht über die Trauer, die Menschen, die man verloren hat, hält auch Zwiesprache mit den Toten. Das alles finde heute weitaus seltener statt. Die Menschen gehen nach einer Beerdigung auseinander – und berauben sich so selbst einer Möglichkeit, die Trauer zu verarbeiten. „Insofern hat auch der oft missverstandene Leichenschmaus im Kreis sonst nie zusammen kommender Freunde und Verwandter eine wichtige Funktion als erster Schritt zu Abschied und Verinnerlichung.
Auch vermeintlich trostspendende Medikamente können die wichtige Trauerarbeit verhindern. Ein gut gemeintes, über längere Zeit genommenes Beruhigungsmittel nach dem Tod eines Angehörigen trage dazu bei, die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Trauer zu behindern. Häufig brechen die Menschen dann später zusammen, manchmal Jahre später und dann ohne nach außen ersichtlichen Grund. Sie verspüren kaum emotionalen Zugang zum Verstorbenen, was zu quälenden Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen führen kann.
Schüler warnt davor, Trauer nicht zuzulassen. Denn misslingt Trauerarbeit oder findet nicht statt, kann aus Trauer eine behandlungsbedürftige Depression werden. Erste Anzeichen dafür wären, dass man sich selbst existentiell in Frage stellt, dass man lieber dort wäre, wo der tote Mensch nun ist, wenn man keine Möglichkeit mehr hat, sich selbst Hilfe zu suchen, passiv wird.
Trauer braucht auch Zeit. Wie viel hänge davon ab, wie nahe einem der Mensch stand, den man verloren hat, und auch, wie eingebunden man in Familie und Freunde ist. „Aber Trauer dauert länger, als man es sich vorstellt", meint Schüler. Ein halbes Jahr bis hin zu dem nicht ohne Grund früher so genannten Trauerjahr sei durchaus realistisch. „Wichtig ist, dass wir uns unserer Trauer nicht schämen und sie vor uns selbst und durchaus auch vor vertrauten Menschen zulassen."
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