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News Psychatrie KJP

Transgeschlechtlichkeit: Wer bin ich und wenn nicht, wer dann?

Mann, Frau, etwas dazwischen oder nichts von beidem? Trans* ist ein Oberbegriff, der verschiedene Menschen bezeichnet, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Transgeschlechtliche Menschen sind beispielsweise trans* Frauen (Frauen, deren Geschlechtseintrag bei der Geburt männlich war). trans* Männer (Männer, deren Personenstandseintrag bei der Geburt weiblich war), aber auch Menschen, die sich geschlechtlich nicht verorten (lassen) möchten. Das Sternchen in der Bezeichnung soll Raum für verschiedene Identitäten lassen, wie beispielsweise transident, transsexuell oder nicht-binär. Eine, die dieses Thema bereits seit vielen Jahren beschäftigt, ist Dr. Kerstin Hessenmöller. Seit August 2023 ist sie die neue Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Bezirkskrankenhaus Bayreuth.

Bereits vor 15 Jahren suchten belastete Jugendliche mit depressiver Symptomatik, Ablehnung ihres Körpers und anderen erheblichen psychischen Auffälligkeiten den Weg in ihre Sprechstunde. 2018 etablierte sie eine Spezialsprechstunde „Transidentität und sexuelle Identitätsentwicklung des Kindes- und Jugendalters.

Auch an ihrer neuen Wirkungsstätte in Bayreuth begegnet ihr das Thema immer wieder. „Wir haben Patient:innen*, die den Wunsch nach einem anderen Vornamen äußern und damit den Wunsch nach Zugehörigkeit zu einem anderen Geschlecht. Oft verbunden mit einem hohen Leidensdruck. Das erfordert viel Feinfühligkeit und Akzeptanz einer Diversität im gesamten Team. Aber auch Vermeiden einer gewissen Beliebigkeit. So gibt es Jugendliche, die sich bereits geoutet haben. Hier ist für uns klar, dass die Anrede mit dem gewählten Namen und Geschlechtspronomen erfolgt. Es wird versucht das Leben/Erproben im anderen Geschlecht auch in der Klinik zu ermöglichen.“

Formuliert jemand erstmals im Laufe der stationären Behandlung die Problematik, sind ein besonders sensibler Umgang und professionelle Begleitung notwendig. Es gebe aber auch kein „erst musst du deine Depression in den Griff kriegen, dann schauen wir mal“, sagt Hessenmöller klar. Denn oft ist die psychiatrische Erkrankung eine Folge der Geschlechtsinkongruenz. Wichtig ist es, die Jugendlichen in ihrem Prozess, der oft langwierig ist, zu begleiten und zu respektieren.

 

Geschlechtsinkongruenz/Geschlechtsdysphorie:

„Ich bevorzuge zunehmend den Begriff der non-konformen Geschlechtsidentität, um damit die Vielfalt abzubilden“, sagt Dr. Kerstin Hessenmöller. „Denn was ist mit denen, die sich weder als Junge noch als Mädchen fühlen?“ Es gebe heute weniger eindeutiges Verhalten bezüglich der Zuordnung, was ein typischer Junge und ein typisches Mädchen ist – was auch immer wir darunter verstehen. „Allgemein gilt: je jünger die Kinder, desto höher ist die Variationsbreite von entsprechenden Entwicklungsverläufen“, sagt die Expertin. Das heißt auch, dass vor Beginn der Pubertät keine eindeutige Vorhersage getroffen werden kann. „Somit erfolgen auch vor der Pubertät keine somatomedizinischen Behandlungen.“ Aktuell werden die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie bezüglich der Geschlechtsinkongruenz/Geschlechtsdysphorie überarbeitet und als bald zur Verfügung stehen.

Ursachen:

Die Ursachen für das Entstehen von Transsexualität sind nicht hinreichend geklärt. Ausschließlich psychische oder soziale Ursachen werden inzwischen ausgeschlossen. Möglicherweise sind vorgeburtliche Hormonstörungen ein Auslöser. Die meisten Transsexuellen berichten, das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, von frühester Kindheit an gehabt zu haben und nicht etwa erst mit Beginn der Pubertät. Es gibt Ansätze, die auf eine komplexe Veranlagung hinweisen. So gibt es Zwillingsstudien, bei denen eineiige Zwillingspaare zu 39 Prozent beide trans waren. Aber eben auch 61 Prozent nicht. Bei zweieiigen war dies bei keinem Paar der Fall. Somit spielt Genetik auch eine gewisse Rolle.

Typische Hinweise:

Vor allem besteht ein zunehmender Leidensdruck mit voranschreitender pubertärer Entwicklung und Veränderung des Körpers. Auch wenn das Umfeld den sozialen Rollenwechsel akzeptiert, schafft es keine Linderung, was den Leidensdruck, im falschen Körper zu leben, betrifft. Allgemein gilt, dass eine hohe Eindeutigkeit besteht, wenn die Geschlechtsinkongruenz sich schon im Kindesalter abbildet. Also das Ablehnen des chromosomalen Geschlechts. Kinder stellen sich mit dem Namen des von ihnen erlebten Geschlechts vor, schreiben diesen auf ihre Schulhefte. Sie möchten mit dem anderen Geschlecht angesprochen werden und reagieren bei Nichtbeachtung gereizt oder gar nicht.

Besteht diese Symptomatik bis in die Pubertät und darüber hinaus, ist eine hohe Eindeutigkeit gegeben. Mit zunehmender Pubertät erhöht sich das Leiden, bezüglich der sich „falsch“ anfühlenden Vermännlichung oder Verweiblichung des Körpers. Ganz typisch ist die Ablehnung des Schwimmbadbesuchs über Jahre, vor allem mit Beginn der Brustentwicklung und allgemeinen körperlichen Veränderung mit weiblichen Rundungen. Die Brüste werden massiv abgebunden, was bis zur Beeinträchtigung der Atmung führen kann. Die Menstruation wird als Kränkung und zutiefst fremd erlebt. Bei Trans*Mädchen ist es ähnlich. Die tiefe Stimme, der hervorstehende „Adamsapfel“, Bartwuchs, kantiger Körper, die Zunahme der Muskulatur werden als fremd erlebt und es besteht eine Unzufriedenheit und Ablehnung des eigenen Körpers. Der Schwimmbadbesuch ist für sie nicht mehr möglich.

Beispiel:

Dr. Kerstin Hessenmöller hat ein Mädchen (G.) vom Grundschulalter an begleitet. Eigentlich kam sie wegen einer ausgeprägten ADHS-Symptomatik. Sie trat sehr klar wie ein Junge auf und hatte schon mit drei Jahren alle Mädchenkleider aus ihrem Schrank verbannt. Die Eltern waren diesbezüglich aufgeschlossen und unterstützten ihrer Tochter. Doch mit Beginn der Pubertät fiel es G. schwer, den Weg Richtung Trans*Junge zu gehen. Massive Ängste blockierten sie. Mobbing, Ausgrenzung und lebensmüde Gedanken folgten. Glücklicherweise gingen die Eltern auch mit dieser Phase sehr sensibel um. „Auf Drängen des Freundeskreises gelang es G., sich in meiner Spezialsprechstunde vorzustellen, nachdem sie/er das soziale Outing vollzogen hatte. Obwohl wir uns schon lange kannten“, erzählt Hessenmöller. Er (gewählter Name M.) wurde nun von mir entsprechend begleitet. Heute lebt M. als Transmann nach erfolgreicher Mastektomie (Brustentfernung) und Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) sowie gegengeschlechtlicher Hormonbehandlung. Die operativen Veränderungen konnten mittels Gutachten kurz vor vollendetem 18. Lebensjahr begonnen werden – bei familiärem Risiko für Krebserkrankungen. „Wichtig ist, dass wir die Jugendlichen auf ihrem Weg begleiten, unterstützen, in ihrer individuellen Problematik ernst nehmen. Gerade beim Timing, was wann geschieht, ist es wichtig, in einem engen Austausch mit den Endokrinologen (Hormonexperten) zu sein“, macht Hessenmöller klar.

Die Behandlung – ein komplexer Prozess:

Es bedarf der Indikationsstellung und vor allem eines mehrjährigen psychologischen und medizinischen Begleitprozesses. Für die hormonelle Behandlung, also die pubertätsunterdrückende oder gegengeschlechtliche Hormonbehandlung bedarf es eines fachärztlichen Indikationsschreibens. Dann erfolgt die Vorstellung bei einem entsprechend erfahrenen Endokrinologen. Auch die Indikation für weiterführende operative Maßnahmen müssen fachärztlich gestellt werden. Hier wird empfohlen, die Volljährigkeit abzuwarten. Bei körperlich männlichen Transsexuellen können dann Penis und Hoden entfernt und eine künstliche Vagina geformt werden. Bei körperlich weiblichen Transsexuellen können Eierstöcke und Gebärmutter entfernt werden. Die Konstruktion eines künstlichen Gliedes ist möglich, gilt jedoch als sehr schwierig, und für viele Transsexuelle sind die Ergebnisse aktuell noch nicht zufriedenstellend. Nach den operativen Eingriffen können Transsexuelle meist ohne Probleme Geschlechtsverkehr ausüben, zeugungsfähig sind sie jedoch nicht.

Unerlässlich ist, dass vor den Behandlungen immer eine gesicherte Diagnose vorliegen muss, die sich meist über einen langen Zeitraum erstreckt. Es muss sichergestellt werden, dass wirklich eine konstante körperbezogene Geschlechtsdysphorie mit anhaltendem Wunsch nach geschlechtsangleichender Behandlung besteht und nicht doch ein fluider Identitätsfindungsprozess im Jugendalter. Bei den Stellungnahmen für die Krankenkassen oder eventuellen Gutachten sind Zeitfenster von zwei und drei Jahren gefordert.

Gesetz:

Für eine Personenstandsänderung laut aktuell geltendem Transsexuellengesetz (TSG) bedarf es zwei unabhängiger Gutachter, die die Transsexualität feststellen und andere psychische Störungen ausschließen. Für die Betroffenen ist dieser letzte entscheidende Schritt mit viel Kosten, Wartezeiten und teilweise endwürdigenden Frageprozeduren verbunden. Hoffnung auf Verbesserung oder Erleichterung des Prozesses besteht: Am 23. August 2023 hat die Bundesregierung in einer Kabinettsitzung das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Dadurch soll die Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen in Zukunft durch eine Selbsterklärung gegenüber dem Standesamt ermöglicht und das TSG abgeschafft werden. Erstmalig wird damit ein Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt, welches durch die Regierung erarbeitet wurde. Damit ist der Weg frei für die parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs, den Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgelegt haben.

Ausweis:

Zur Erleichterung im Alltag und zur Vermeidung von Missverständnissen, unnötigen Erklärungen, Diskriminierungen besteht die Möglichkeit von der DGTI (Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität) einen Ergänzungsausweis zu beantragen und ausstellen zu lassen. Dies ist ab dem 16. Lebensjahr möglich. Der DGTI -Ergänzungsausweis ist ein standardisiertes Ausweispapier, das alle selbstgewählten personenbezogenen Daten (Vorname, Pronomen und Geschlecht) dokumentiert und ein aktuelles Passfoto zeigt. Bei sämtlichen Innenministerien, bei der Polizei, vielen Behörden, Banken, Universitäten, Versicherungen und anderen Stellen ist er bekannt und akzeptiert. Dort, wo dies noch nicht der Fall ist, hilft ein QR-Code auf dem Ausweis weiter.

Zahlen:

Die Ablehnung von Trans*Mädchen ist in der Gesellschaft nach wie vor noch sehr hoch. Das heißt für Deutschland, dass es aktuell etwa doppelt so viele Trans Männer* gibt, die den Weg nach außen beschreiten, wie Trans Frauen*, für die die Hürde nach wie vor viel höher ist. Schon im Kindergarten ist es einfacher, ein burschikoses Mädchen in Jungs-Kleidung zu sein, als ein Junge im Kleid, erklärt Hessenmöller. Dies nimmt mit zunehmendem Alter zu. Auch die Gewalt im öffentlichen Raum richtet sich häufiger gegen Trans Frauen* als gegen Trans Männer*. Somit finden die sozialen Coming-outs von Trans*Mädchen derzeit im Durchschnitt etwa zehn Jahre später statt als die von Trans*Jungen.

Das können Eltern tun:

„Wichtig ist es, die Eltern zu informieren, dass sie die Tatsache an sich nicht beeinflussen können. Sie können das nicht lenken und nicht ändern, und wir Ärzte:innen*/Therapeuten:innen* können das auch nicht wegtherapieren.“ Die Eltern können nur abwarten, bis es klar genug ist und der oder die Jugendliche eine Reife zeigt, die ihn oder sie zu dieser Entscheidung befähigt. Das ist mitunter ein langwieriger Prozess, aber notwendig in Anbetracht der Tragweite. Es ist also wichtig, ruhig und besonnen zu reagieren und seinem Kind zu signalisieren, dass man es akzeptiert und so liebt, wie es ist. „Reden Sie offen und ehrlich mit dem Kind und zeigen Sie Liebe und Verständnis.“ Trotz eigener Verunsicherung ist es wichtig, dem eigenen Kind die Unsicherheit zu nehmen. Auch die Eltern müssen sich oft mit Vorwürfen und Fragen, wie „Habe ich etwas falsch gemacht in der Erziehung? oder „Liegt es daran, dass ich alleinerziehende Mutter/Vater bin?“ auseinandersetzen. Trotz aller Offenheit für Diversität gibt es in der heutigen Gesellschaft noch viele Vorbehalte und veraltete Ansichten bezüglich dessen, was ein „typischer“ Junge und ein „typisches“ Mädchen ist und diese tun oder sein sollten. Eltern sollten unbedingt versuchen, keine bevormundende Haltung einzunehmen. Es ist wichtig, das eigene Kind ernst zu nehmen und mit dem gewünschten Namen und Pronomen anzusprechen.

„Überfordern Sie das Kind nicht. Es macht keinen Sinn, es ständig mit dem Thema zu konfrontieren oder das Ganze zu hinterfragen. Das führt nur noch mehr zur Verunsicherung.“ Das Thema sollte nur dann angesprochen werden, wenn es vom Kind auch gewünscht wird. Outen Sie das Kind keinesfalls ungefragt beispielsweise vor Nachbarn, anderen Familienmitgliedern, Freunden, Schule. Es bedeutet für das Kind neben dem Vertrauensverlust auch eine Bloßstellung. Kümmern Sie sich um professionelle Hilfe und kontaktieren Sie qualifizierte Ärzte und Ärztinnen*.

 

Hilfsangebote und Empfehlungen:

Broschüren für Jugendliche und Eltern:

  • Geschlechtliche Vielfalt in der Kinder- und Jugendhilfe
  • Akzeptrans*Arbeitshilfe für den Umgang mit transsexuellen Schüler_innen

Info: Dr. Kerstin Hessenmöller möchte auch gern am Bezirkskrankenhaus Bayreuth eine Spezialsprechstunde bezüglich Geschlechtsinkongruenz etablieren. „Dazu braucht es allerdings Mitstreiter:innen* und eine gut aufgestellte ambulante Versorgung.“

Wichtig: Seit 2019 die Geschlechtsinkongruenz auch laut WHO nicht mehr als „psychische Störung“ und damit nicht mehr als Krankheit gilt. „Das bedeutet für uns Ärzte und Ärztinnen*, dass wir nicht die Geschlechtsinkongruenz, sondern das Leid, das dadurch entstehen kann, behandeln“, sagt Dr. Kerstin Hessenmöller.