Wenn der Patient nicht zum Therapeuten kommt, kommt der Therapeut zum Patienten – und in Zeiten von Corona eben virtuell. Was aus einer akuten Notlage heraus entstand – Patienten über Telemedizin versorgen zu müssen – wächst sich zu einer Studie aus. Ab Herbst soll über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht werden, wie Telemedizin in der Sprachtherapie der Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie eingesetzt werden kann – vorbehaltlich, dass diese Studie genehmigt und finanziert wird. Die Studie läuft dann am Bezirkskrankenhaus Bayreuth.
Bettina Hoffmann ist kein Neuling auf diesem Gebiet. Die klinische Linguistin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth hatte schon vor Jahren – ebenfalls im Rahmen einer Studie – mit Telemedizin gearbeitet, erinnert sich in diesem Zusammenhang an die abenteuerlichsten Geschichten. „Bei einem Patienten, der kurz vor der Grenze zu Tschechien gewohnt hat, haben unsere Techniker erst einmal eine Richtantenne aufs Dach bauen müssen“, andernfalls hätte der Patient überhaupt keinen Empfang gehabt. Die Studie damals lief aus, mit ihr auch Fördergelder, und die Telemedizin wurde nicht mehr genutzt. Man brauchte sie ja auch nicht zwingend.
Mit Corona wurde alles anders. Plötzlich war es nicht mehr so einfach möglich, sich von Angesicht zu Angesicht in der Sprachtherapie gegenüber zu sitzen. Plötzlich wollte man auch gar nicht mehr einem anderen Menschen gegenüber sitzen. In einer solchen Situation bietet Telemedizin die perfekte Lösung, findet Bettina Hoffmann. Sie sieht auch Vorteile in dieser Art der Behandlung in extrem ländlichen Gegenden oder wenn sich Patienten aufgrund ihrer Erkrankung eben nicht mehr so einfach ins Auto setzen und in eine Praxis oder Ambulanz kommen können.
Dazu kam, dass Telemedizin plötzlich nicht nur für Mediziner genehmigt wurde, sondern im Zuge der Corona-Krise auch für Heilmittelerbringer wie es Sprachtherapeuten sind. Nun sitzen Bettina Hoffmann und ihre beiden Kolleginnen ihren Patienten am Bildschirm gegenüber, üben Aussprache und erweitern den Wortschatz der Kinder und Jugendlichen, die sie behandeln.
Sie nutzen dafür eine Plattform, die die analoge Situation einer Therapie nachstellt. Wie bei einer Videokonferenz wird ein Einladungslink an den Patienten verschickt. Sobald dieser diesen Link öffnet, betritt er eine Art virtuelles Wartezimmer, von dem aus er zur Therapie gebeten wird.
Größtes Hindernis ist die Technik. „Am besten funktioniert es, wenn der Patient an einem Gerät sitzt, das mit einem LAN-Kabel verbunden ist“, berichtet Bettina Hoffmann aus ihrer Arbeitspraxis. Schlechtes W-LAN, ein nicht so guter Handyvertrag – das kann schon einmal für nicht ganz reibungsloses Arbeiten sorgen. Für die Sprachtherapeuten bedeutet Telemedizin eine Umstellung ihrer Arbeitsweise. Eine Therapie via Bildschirm müsse wesentlich detaillierter vorbereitet werden, als eine Therapie, in der man sich gegenübersitze.
Die Kinder, die derzeit per Telemedizin ihre Therapie machen, nehmen die Situation gänzlich unaufgeregt wahr, hat Bettina Hoffmann beobachtet. In der Interaktionswelt junger Menschen sei es selbstverständlich, digitale Medien für die Kommunikation zu nutzen. „Die Bedenken haben eher wir Erwachsene“, die in einer anderen technischen Zeit groß wurden.
Jetzt will die Sprachtherapie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth eine Studie erstellen. Wenn alles läuft, wie geplant, könnte diese Studie im Herbst 2020 starten. „Und das, was wir gerade, hier in der Corona-Krise schon tun, sind prima Vorarbeiten für die Studie“, sagt Bettina Hoffmann. Schließlich erkenne man hier, in der täglichen Arbeit, schon, auf was besonderer Augenmerk gelegt werden müsse.
Die Studie richtet ihr Augenmerk auf zwei Behandlungsbereiche: In der ersten Gruppe mit Kindern im Grundschulalter steht das Thema Sprache bei Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom im Vordergrund. In der zweiten Gruppe mit Jugendlichen geht es darum, die Sprecherpersönlichkeit zu stärken und den Umgang mit Stress zu trainieren. Im Rahmen der Studie soll die Chance genutzt werden, mittels Telemedizin Behandlungslücken gerade in unserem ländlichen Raum zu schließen und auch die Therapie-Intensität zu erhöhen. Außerdem soll das sprachtherapeutische Angebot der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie erweitert werden.