Wir können auf sie weltweit und in allen erdenklichen Lebenssituationen treffen. Denn sie sind mitten unter uns. Im Privatleben wie auch in der Arbeitswelt. Und es sind nicht wenige. Als Führungskraft haben sie nicht selten eine toxische Wirkung auf ihre Teams und die gesamte Unternehmenskultur. Wir reden von Narzissten, also Menschen, die sich für großartig halten, bewundert werden möchten und deren „soziales Einfühlungsvermögen“ nur eigenen Zwecken, aber nicht dem eigentlichen sozialen Miteinander dient. Abgeleitet davon spricht man im Fachjargon von so genanntem grandiosem, also sich selbst für großartig haltendem Narzissmus. Es sind Menschen, die prahlen und protzen, die in jeder Situation überlegen wirken wollen und sich dabei maßlos überschätzen, die Empathie mit Egozentrik und arrogantem Machtstreben ersetzen. Dabei ist sich die Wissenschaft einig, was den Laien nicht verwundert, dass diese Ausprägung des Narzissmus nach wie vor häufiger bei Männern als bei Frauen vorkommt.
„Du bist ein Narzisst!“ Dieser Satz ist recht schnell ausgesprochen. In der Umgangssprache hat sich dieser Begriff eingebürgert, doch nicht jeder selbstgefällige Mensch ist auch ein Mensch mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Ein gesundes Maß an Selbstbezogenheit ist sogar der seelischen Gesundheit förderlich. Erst dann, wenn eine krankhafte und sozial rücksichtslose Egomanie eine gesunde Selbstliebe ersetzt, spricht man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
Dr. Nedal Al-Khatib ist Psychiater und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirksklinikum Obermain. „Narzissten mit ihrem Drang zur übertriebenen Geltungssucht sorgen in Paar-Beziehungen, aber auch in der hierarchisch strukturierten Arbeitswelt für viel Leid. Sie lassen sich jedoch identifizieren“, erklärt Al-Khatib. Hält sich dieser Mensch für so großartig und bedeutend, dass er fast ständig alle anderen überstrahlen will und in rechthaberisch-übergriffiger Weise seinen Mitmenschen kaum Luft zum Atmen lässt? Oder will er permanent eine Vorzugsbehandlung und zudem auch immer wieder bewundert werden? Gibt er vielleicht sogar fremde Erfolge als eigene aus und verbreitet er Unwahrheiten über Menschen, die ihn kritisieren, damit sein Stern noch heller strahlt? Al-Khatib: „Menschen, die diese Form der narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben, fehlt es fast immer an echter Empathie. Sie sind nicht in ehrlicher Weise und auf Augenhöhe an den Bedürfnissen ihrer Mitmenschen interessiert. Sie wollen Informationen über Menschen sammeln, um daraus einen Profit für ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Zwecke und ihr eigenes Image herauszuholen.“
Zudem ertragen Narzissten kaum Kritik. Sie sind dann schnell gekränkt und hegen sogar Rachegedanken. Denn sie wollen immerzu dominant und im Recht sein, im Mittelpunkt stehen und werten daher gerne andere Menschen ab. Menschen mit anderer Meinung werden kaum toleriert. Und Narzissten sind oft in der Lage, sich zu tarnen. Sie verkaufen sich auf dem ersten Blick als humorvoll, umgänglich, vielleicht auch charmant und tarnen so ihre wahren Absichten. „Schaut man allerdings hinter die Maske und gleicht Worte mit Taten ab, so erkennt man recht schnell, welches Krankheitsbild vorliegt“, erläutert Al-Khatib. „Es gibt Narzissten unter Führungskräften, die ihren eigenen Vorgesetzten aktiv Falschinformationen in Vier-Augen-Gesprächen zukommen lassen, um daraus in manipulativer Weise Kapital zu schlagen.“
Studien belegen immer wieder, dass Narzissmus gerade unter Führungskräften deutlich häufiger als in der Gesamtbevölkerung zu finden ist. Narzissten verkaufen sich den Personalentscheidern als innovativ und dynamisch, als handlungssicher und durchsetzungsstark. Eigenschaften, die ganz oben im Ranking stehen, wenn es um Personalauswahlkriterien bei Führungskräften in einem auf Wettbewerb aufbauenden Wirtschaftssystem geht. Nicht wenige Unternehmen erkennen ihre Blender jedoch nicht oder zu spät. Dabei schaffen grandiose Narzissten aufgrund ihrer wahren, erst viel später offenkundig werdenden Eigenschaften mittelfristig ein ungesundes Arbeitsklima und schaden so der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter, die mit ihnen zu tun haben. „Jede Geschäftsleitung muss hellhörig werden und aktiv Gegenstrategien entwickeln, wenn in einem überschaubaren Zeitraum immer wieder Teammitglieder gehen oder gegangen werden. Hier geht es um Fürsorge, aber auch darum, unbelehrbare Narzissten letztendlich von ihren Führungsaufgaben zu entpflichten, wenn Schulungsmaßnahmen oder psychologische Unterstützung nicht fruchten“, fordert Al-Khatib. „In der Realität wird leider viel zu lange zugeschaut oder aktiv weggeschaut. Beides ist in gleicher Weise fatal.“
Ein Narzisst sieht in der Regel sein Verhalten als unproblematisch. Daher ist es wichtig, ihn über seine Krankheit aufzuklären, also Psychoedukation zu betreiben und somit ein Bewusstsein zu schaffen. Ein reduziertes Selbstwertgefühl und eine stark ausgeprägte Empfindlichkeit lassen sich bei Narzissten so gut wie immer finden. Psychotherapeutische Verfahren, die dem Therapeuten viel Fingerspitzengefühl abverlangen, kommen in unterschiedlichen Varianten bei der Behandlung dieser Störung zum Einsatz, wobei Patient und Therapeut eine gemeinsame Ebene auf Augenhöhe finden müssen, was dem Narzissten naturgemäß zuerst schwerfällt.
Ob sich die nur wenige Wochen blühende Osterglocke, ein Narzissengewächs, über die Sprachverwandtschaft freut? Die Reaktion der Menschen auf einen Narzissten ist sicherlich weniger freudig, hat man es doch mit seinen Verhaltensauffälligkeiten das ganze Jahr über zu tun. Narcissus, eine Gestalt aus der antiken Mythologie und bekannt dafür, in sein eigenes Spiegelbild verliebt zu sein, hat sicherlich nicht geahnt, wofür seine Geschichte einmal herhalten muss.
Bildunterschrift:
Überaus beliebt sind gerade zu Ostern Narzissengewächse wie Osterglocken. Übertrieben selbstverliebt und dazu noch selbstgerecht und selbstherrlich ist hingegen der Narzisst. Und das zu Lasten und zum Missfallen seiner Mitmenschen.