Er schildert einen Fall aus der Praxis:
Ein Patient mit einem diabetischen Fuß kann nach Einschätzung der Ärzte nur durch eine Teilamputation vor schweren Komplikationen bewahrt werden, beispielsweise einer weiterreichenden Amputation oder lebensgefährlicher Infektion. Er lehnt den Eingriff ab. Er leidet trotz intensiver psychiatrischer Behandlung unter der schwer wahnhaften Vorstellung, dass nichts und niemand ihm helfen könne, dass er verloren sei. Die Ärzte empfehlen eine Amputation gegen seinen Willen, der Betreuer lehnt diese ab.
Muss hier im Sinne des Patientenwillens gehandelt werden?
Bei dieser schwierigen ethischen Abwägung, ob das Wohl des Patienten oder aber sein Wille zu beachten sind, kann die Beratung durch ein klinisches Ethikkomitee weiterhelfen. „Hierzu treffen sich auf Antrag des Behandlungsteams Mitglieder des Ethikkomitees mit den maßgeblichen Berufsgruppen, die an der Behandlung beteiligt sind. Also in der Regel neben dem Pflegedienst die zuständigen Ärzte, Psychologen und Sozialpädagogen“, sagt Dr. Kornacher. Gemeinsam werden dann die verschiedenen Blickwinkel und Wertehaltungen zusammengetragen; am Ende steht eine Handlungsempfehlung des Ethikkomitees, bei der alle wesentlichen ethischen Gesichtspunkte berücksichtig wurden.
„Psychische Störungen wie Demenz, schizophrene Erkrankungen und Gemütserkrankungen wie eine Depression, beeinträchtigen Wahrnehmung, Wollen, Urteilen und Handeln. Also die Fähigkeit zur freien Selbstbestimmung, die aber ja Voraussetzung jeglicher autonomen Mitbestimmung bei der Behandlungsplanung ist“, erklärt Dr. Kornacher.
Wo ist hier die Grenze zwischen einem ethisch „guten“ motivierenden Einwirken auf einen Patienten und der Missachtung seiner Autonomie? Erschwert wird eine solche „Gratwanderung“ durch den Aspekt der Selbst- und Fremdgefährdung. Ist ein Patient mit seelischen Störungen in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit so sehr eingeschränkt, hat die Psychiatrie das Recht, seine Freizügigkeit einzuschränken. „Sie werden dann in psychiatrischen Krankenhäusern festgehalten, um behandelt zu werden. Bei unmittelbar drohender Gefahr muss sogar eine Zwangsbehandlung, beispielsweise mit Medikamenten erwogen werden“, erklärt Dr. Kornacher. Da hierbei richterliche Genehmigung unverzichtbar ist, also auf rechtsstaatlicher Basis gehandelt wird, ist ein minimaler ethischer Standard gewahrt.
Anders als in der Körpermedizin, die an dieser Stelle in der Regel die Behandlung unterbricht und die Patienten in die Psychiatrie verlegt, muss die Psychiatrie aber ihre Patienten nach einem solchen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anschließend weiterbehandeln. „Wie soll dies gelingen, wenn gerade die Behandlung psychischer Störungen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zur Voraussetzung hat“, gibt Dr. Kornacher zu bedenken.
Aufgrund der anhaltenden moralischen Belastung in diesem Spannungsfeld ist für das Gelingen einer guten Behandlung nicht nur fachliche Supervision, sondern schon vor dem Eintreten eines „dringlichen ethischen Handlungsbedarfs“ ethische Unterstützung von Vorteil. „In Situationen, in denen zeitnah eine ethische Entscheidung gefällt werden muss, führt ein Team aus dem Klinischen Ethikkomitee (KEK) am Bezirkskrankenhaus ein Ethikkonsil durch. Dies geschieht in dem anfordernden multiprofessionellen Behandlungsteam nach den geltenden Standards klinischer Ethikberatung“, sagt Dr. Kornacher.
Darüber hinaus sind die Mitglieder des KEK, die durchgehend über die fachliche Qualifikation für die Durchführung klinischer Ethikberatung verfügen, in der betriebsinternen Aus- und Weiterbildung tätig, um auf diesem Weg die Kompetenz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Patientenversorgung mit Grundzügen ethisch fundierten Denkens und Handelns vertraut zu machen.
Als längerfristiges Ziel ist angedacht, dies als Angebot regelmäßiger ethischer Fallbesprechungen für die Behandlungsteams auf den Stationen zu ergänzen.
Kontakt:
Telefon: 0921/283-5022
Wann eine Ethikberatung sinnvoll sein kann:
– Zwangsbehandlung
– Berücksichtigung des Patientenwillens in der Behandlung
– Umgang mit (unklaren) Patientenverfügungen
– Berücksichtigung kultur- und religionsbedingter Haltungen
– künstliche Ernährung
Wichtig:
In der Ethikberatung wird nicht über die medizinische Qualität der Behandlung geurteilt. Die bestmögliche Versorgung wird als selbstverständlich vorausgesetzt.