Ob er heute noch da wäre, wenn es die Substitutionsambulanz nicht gäbe? Michael Meyer weiß es nicht. Der 63-Jährige verdankt ihr sein neues Leben. Eines ohne Heroin und Kriminalität. Jeden zweiten Tag kommt er dafür ins Bezirkskrankenhaus Bayreuth, um dort unter strenger Überwachung sein Ersatzmittel Methadon einzunehmen. An den Tagen dazwischen bekommt er seine Dosis zu Hause – im betreuten Wohnen.
Michael Meyer war ganz unten. Mit 16 Jahren startete er seine Drogenkarriere mit Tabletten. Ein Freund animierte ihn dazu, Tilidin auszuprobieren. Schon nach einem Jahr hing er am Heroin. Damit lief alles: er machte eine Ausbildung, arbeitete, hatte eine Familie. „Das Heroin war mein Teddybär. Meine Wohltat. Es hat mir geholfen, mein Leben zu meistern“, erzählt Meyer. Dann merkte er schnell den Entzug und die Gefahr. „Als ich spürte, dass ich es dringend brauchte, wollte ich weg davon. Aber da hatte es mich schon“, sagt er ernst. „Es kostete viel Geld, ich war kriminell und sogar im Knast.“ Sein Bruder starb an einer Überdosis.
Herzlich und fair
Fünf Anläufe hat es gedauert, bis die Therapie endlich fruchtete. Er merkte, dass er es von allein nicht regulieren konnte und kam zur Substitution. Opiatabhängige Menschen werden dort mit legalen Ersatzstoffen (Methadon, Levomethadon, Buprenorphin, retardiertes Morphin) behandelt. Seit 30 Jahren nun schon bekommt Michael Meyer Methadon. „Die Substi veränderte mein Leben“, sagt er glücklich. Auch heute klopft er an die Tür bei Doreen Hennewald und Kerstin Bauer. Die beiden betreuen zusammen mit ihren Kolleginnen Julia Hoffmann und Lisa-Marie Dietel in der Substitutionsambulanz knapp 100 Patienten. „Wie geht`s Ihnen heute, Herr Meyer“, fragt Doreen Hennewald und lächelt. „Es ist hier immer alles so herzlich und fair. Die Mitarbeiterinnen begegnen mir auf Augenhöhe, nehmen mich so an wie ich bin“, sagt Michael Meyer dankbar.
Doreen Hennewald ruft seine digitalen Patientendaten im Computer auf und klickt. Dann rattert der große Apparat neben ihr. Die für Meyer exakt vorgeschriebene Menge Methadon tropft in den Becher, die er anschließend trinkt. „Ich werde ruhiger, kraftvoller und fühle mich wohler“, erklärt er die Wirkung des Methadons. „Es soll einfach das Leben erleichtern“, sagt Doreen Hennewald. Kein Suchtdruck, keine Entzugssymptome, kein Bedürfnis, zusätzlich andere Drogen zu konsumieren.
Urinproben und Alkoholtests
Und das ist entscheidend für einen Therapieplatz in der Substitutionsambulanz: kein Beikonsum. Dazu müssen die Patienten regelmäßig Urinproben abgeben und sich einem unangekündigten Alkoholtest unterziehen. Vierteljährlich führen die Patienten ein psychosoziales Beratungsgespräch mit den Mitarbeitern der Suchtberatung beziehungsweise den Sozialpädagogen der Suchtabteilungen des Bezirkskrankenhauses. „Diese Leute brauchen jemanden, der es gut mit ihnen meint. Wir versuchen gemeinsam herauszufinden, wie wir sie anderweitig noch unterstützen können“, sagt Kerstin Bauer.
Michael Meyer ist froh, in der Therapie zu sein und seine Medikamente geregelt zu bekommen. „Es muss auch so sein, weil ich selber nicht ,nein‘ sagen kann.“ Das Methadon wird er vermutlich bis an sein Lebensende nehmen müssen.
Drei Fragen an Markus Salinger, leitender Oberarzt der Abteilung für Klinische Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth:
Was macht Heroin im Körper?
Heroin kann beruhigend, harmonisierend und von aktuellen Problemen distanziert erlebt werden. Nach dem anfänglichen „Rush“ (rasches Anfluten mit überwältigender Wirkung) – wobei meist von großer Euphorie mit Wohlbefinden, Schweregefühl und vollständiger Sorglosigkeit berichtet wird – tritt ein länger andauernder Zustand von gleichgültiger Zufriedenheit ein. Hierbei ist der Benutzer meist schläfrig, nickt häufig ein und versinkt unter Umständen in einen angenehmen Traumzustand. Konzentration, Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen können erheblich nachlassen, insbesondere verschwinden Sorgen und Ängste.
Was passiert bei dauerhaftem Heroin-Konsum?
Die regelmäßige Einnahme von Heroin führt zur psychischen und körperlichen Abhängigkeit. Die euphorisierende Wirkung lässt nach. Zunehmend höhere Dosen sind notwendig, um die gewünschte Wirkung zu erzielen (Toleranzentwicklung). Gegen das Auftreten von Entzugsbeschwerden wird Heroin konsumiert, um sich überhaupt wieder normal zu fühlen. Die Substanzeinnahme zielt dann nicht mehr auf ein Rauscherlebnis ab, sondern auf das Aufrechterhalten eines Normalzustandes.
Was genau bewirkt der Ersatzstoff Methadon?
Methadon ist ein vollsynthetisch hergestelltes Opioid und hat somit immer gleiche Wirksamkeit und Reinheitsgrad. Das Substitut wird unter ärztlicher Aufsicht eingenommen, die Tagesdosis ist vorgegeben und variiert nicht. Im Gegensatz zu intravenös konsumiertem Heroin passiert Methadon die Gehirnschranke deutlich langsamer. Dadurch erlebt der Patient bei der Einnahme von Methadon nicht den typischen Heroinkick.
Kontakt:
Markus Salinger
Leitender Oberarzt der Abteilung für Klinische Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth
Telefon: 0921-283 3031
https://www.gebo-med.de/standorte/bezirkskrankenhaus-bayreuth/suchtmedizin
Video:
Hilfe:
Selbsthilfegruppe JES Bayreuth
Treffen im 14-tägigen Wechsel: einmal monatlich montags, 9 bis 10.30 Uhr, einmal monatlich freitags, 16 bis 17 Uhr
Ort Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Gruppenraum neben der "Alten Wäscherei", Nordring 2, 95445 Bayreuth
Ansprechpartner
Michael Meyer
jes.bayreuth@gmail.com
Homepage:
https://jes-bayreuth-friedrich-puchtastr11-95444-bayreuth.business.site/