"Kinder sind die Gesellschaft von morgen, es lohnt sich um jedes einzelne zu kämpfen", bekräftigte Dr. med. Kerstin Hessenmöller ihren Anspruch in ihrer Antrittsrede in der "Alten Wäscherei". Und auf Dr. Hessenmöller warten große Aufgaben - in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters sei der Zulauf so groß wie nie, so Katja Bittner, Vorstand der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken, zu denen die Klinik gehört.
Dr. med. Kerstin Hessenmöller, Jahrgang 1961, hat eine starke Entwicklung der Kinder- und Jugendmedizin beobachtet. „Ich habe noch erleben müssen, dass Kinder auf Stationen mit Erwachsenen versorgt wurden. Aber Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie benötigen eine auf ihre spezifischen körperlichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse abgestimmte medizinische Versorgung unter Berücksichtigung der verschiedenen Entwicklungsphasen“, sagt sie.
Kinder- und Jugendmedizin wurde schon während des Studiums ihr Steckenpferd. Ihr Weg führte sie schließlich über die Kinder- und Jugendmedizin, die Psychotherapie, die Sozialpädiatrie und die Neuropädiatrie zur Kinder- und Jugendpsychiatrie. Und sie hat hier klare Vorstellungen. Wer mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sie erfolgreich behandeln will, muss sich einem multimodalen und multiprofessionellem Therapiekonzept stellen, in das auch Eltern, Sorgeberechtigte, Bezugspersonen und ganze Familiensysteme einbezogen werden müssen, sagt sie. Und weiter: So wie sich auch Kinder- und Jugendliche ständig entwickeln und neuen Herausforderungen stellen müssen, so müssen dies auch die Menschen tun, die sie begleiten.
Fort- und Weiterbildung war und ist für sie daher ein Muss. „In meinem Poesiealbum stand der Spruch des Philosophen Laozi: Lernen ist wie Rudern gegen den Strom, hört man auf, treibt man zurück. Diese Worte haben mich immer begleitet und sicherlich auch sehr früh geprägt. Aber am meisten habe ich von den Kindern, meinen kleinen, großen und vor allem chronisch kranken Patienten und ihren Familien gelernt. Sie haben mich Geduld, Respekt, Demut, Toleranz, aber auch Freude an der Arbeit, an den kleinen Dingen im Alltag gelehrt.“ Aufgeben war und ist dabei nie eine Option für Kerstin Hessenmöller, auch dann nicht, wenn die Krankheit oder der Tod Sieger waren. „Heute wie damals bin ich leidenschaftliche Kinder- und Jugendmedizinerin, Psychotherapeutin sowie Kinder- und Jugendpsychiaterin.“
Über die lange Zeit, in der sie Kinder und Jugendliche medizinisch begleitet hat, bemerkt sie auch Veränderungen. Die Kinder und Jugendlichen von heute seien aber nicht besser oder schlechter als die Generationen vor ihnen. „Aber sie betreten Neuland. Und wir mit ihnen.“ Die ständige Präsenz und Möglichkeiten der Informationen konfrontieren ein Gehirn, das auf eine 24/7 Präsenz nicht eingestellt ist. Der richtige Umgang mit dem Digitalen müsse gelernt, Kinder müssen dabei begleitet werden.
Gleichzeitig sind Eltern heute verunsicherter als je zuvor. Sie bräuchten wieder ausreichend Vertrauen in das intuitive Wahrnehmen, was ihr Kind braucht und sie dürfen an die Kraft ihres Kindes glauben, sich auch selbst über Schwierigkeiten zu stabilisieren. Die heutige Kindergeneration wachse in einer Gesellschaft auf, die von der Auflösung traditioneller Beziehungen, von Umstrukturierung und Werteverschiebung in vielen Bereichen gekennzeichnet sei. Tatsache sei auch, dass bei den Mädchen die Menarche immer früher eintritt (zehntes, elftes Lebensjahr) und die Adoleszenz später aufhört, mit etwa 25 Lebensjahren. Dies könnte als eine biologische Anpassungsleistung diskutiert werden. Die verlängerte Adoleszenz erscheint aber auch notwendig, um der Entwicklung von Werten wie Verlässlichkeit, Stabilität und Kontinuität mehr Zeit zu geben.“
Kerstin Hessenmöller ist seit 42 Jahren verheiratet – ihr Mann ist pensionierter Berufssoldat – und hat selbst drei Kinder. Ihre eigenen Kinder sind es auch, die ihre Sicht auf die Dinge und ihren Fokus darauf gelenkt haben, dass es auch ein Leben neben der Arbeit gibt.
Kerstin Hessenmöller wuchs in Querfurt in Sachsen-Anhalt auf – einer kleinen Stadt nicht weit vom Fundort der Himmelsscheibe von Nebra. 1980 machte sie Abitur, noch in der ehemaligen DDR. Ihr Onkel, ein leidenschaftlicher Orthopäde, weckte in ihr die Liebe zur Medizin. Und so begann sie ihr Medizinstudium an der Martin Luther Universität in Halle/Wittenberg. Ihre Promotion wollte sie über „Kinder alkoholkranker Eltern im Bezirk Neubrandenburg“ schreiben, doch es war nicht die Zeit und nicht die Gesellschaft für dieses Thema. Dr. Hessenmöller wechselte den Fokus, schrieb über „Die Entwicklungsmöglichkeiten von mehrfachbehinderten Kindern (körperlich, geistig und seelisch) – Ressourcen und Grenzen im ländlichen Gebiet.“ Doch auch dieses Thema schloss sie nicht ab. Die Wiedervereinigung kam dazwischen.
Doch gehen wir zeitlich noch einen Schritt zurück: Noch in der DDR erhielt sie 1987 die Approbation als Arzt und begann in der damaligen Poliklinik Malchin die Facharztausbildung zu Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, setzte sie – trotz vieler Herausforderung, die die Wiedervereinigung mit sich brachte – im Bezirkskrankenhaus Neubrandenburg (heute: Dietrich-Bonhoeffer Klinikum) fort, und beendete sie 1996 erfolgreich. Noch während dieser Zeit begann sie mit ihrer Dissertation auf dem Gebiet der Kinderpneumologie zum Thema „Lungenfunktionsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen mit rezidivierenden oder chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen – Aktuelle Daten zu Bronchospasmoysetests für die pädiatrische Praxis“ an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 1996 schloss sie mit der Promotion A erfolgreich ab.
Zuletzt arbeitetet Dr. Kerstin Hessenmöller als Leitende Oberärztin und ständige Vertretung der Chefärztin am Johanniter-Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuwied.
Seit sie selbst in Leitungspositionen tätig ist, ist ihr die Ausbildung des Nachwuchses ein großes Anliegen, sie möchte Begeisterung für beide Fachgebiete wecken. „Es gibt keine Kinder- und Jugendmedizin ohne die Psychiatrie und keine Kinder- und Jugendpsychiatrie ohne die Kinder- und Jugendmedizin“, sagt sie. Und setzt hier auf den Medizincampus Oberfranken. „Wir müssen die jungen Medizinstudenten für unser Fach begeistern.“
Ein paar Tage hat Dr. Hessenmöller schon vor offiziellem Start in Bayreuth verbracht. Und traf, so erzählt sie, auf ein hoch motiviertes Team mit kritischem Blick und Wunsch nach Veränderung, Engagement und nach Wertschätzung für das bisher Erreichte. Hier will sie ansetzen. Teamarbeit, ein Miteinander aller Berufsgruppen im Interesse der Patienten sieht sie dabei als tragende Säulen. Ihr Ziel ist eine moderne Kinder- und Jugendpsychiatrie geprägt von Respekt, einer aktiven Teilhabe der Patienten und deren Bezugssystem am Therapieprozess. Sehr wichtig sei ihr der Kinderschutz innerhalb und außerhalb der Klinik. „Kinderschutz ist und bleibt immer Chefsache.“ Hier liegt es ihr am Herzen, das vorhandene Schutzkonzept weiterzuentwickeln, um die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu einem sicheren und nicht angstbesetzten Ort zu machen.
Chancen sieht Dr. Hessenmöller auch in der Digitalisierung. Neben der Behandlung in Präsenz möchte sie auch die Möglichkeit der Videosprechstunden nutzen. Per Video will sie auch die Vernetzung der Außenstellen weiter optimieren.
Wohnortnahe Versorgung von Patienten, Ambulantisierung – für Hessenmöller ist das der Weg in die Zukunft einer modernen Kinder- und Jugendpsychiatrie. Weiter ausbauen möchte sie die Transitionstation. „Die Adoleszenz ist eine besonders vulnerable Phase. Die Mehrzahl aller psychischen Erkrankungen, die über die gesamte Lebensspanne auftreten, beginnen bereits im Jugend- und frühen Erwachsenenalter.“ Den ersten Kontakt mit den Kollegen in Kutzenberg hat Dr. Hessenmöller als kollegial und vom Wunsch nach Zusammenarbeit geprägt empfunden.
Zusammenarbeit – das ist ihr Stichwort. Auch bei der Vernetzung mit niedergelassenen Kollegen, mit den Jugendämtern. „Wir brauchen Personal, motivierte Mitarbeiter und die Politik, vor allem aber einen langen Atem.“
Die größte Herausforderung sieht Kerstin Hessenmöller im anstehenden Klinikneubau. Auch hier betont sie, dass dies nur im Team gelingen kann, in enger Zusammenarbeit mit allen Berufsgruppen auf Augenhöhe. In einer guten Zusammenarbeit eben.
Bezirkstagspräsident Henry Schramm gab ihr zum Start ein Versprechen: "Ich danke von ganzem Herzen für das, was Sie tun - der Bezirk ist an Ihrer Seite."