Davon sind Frank Orbach und Marcus Grießhammer überzeugt. Und die beiden müssen es wissen. Orbach ist Sport- und Körpertherapeut und leitet die Sport- und Bewegungstherapie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Sein Kollege Grießhammer ist Physiotherapeut und Psychomotoriker in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seine jungen Patienten brauchen besonders viel Einfühlungsvermögen.
Mit Bewegung oder dem klassischen Sportunterricht in der Schule verbinden viele von ihnen negative Erfahrungen. „Das kann ich sowieso nicht. Das brauche ich gar nicht probieren.“ – Sätze, die Grießhammer zu Genüge kennt. „Es ist schlimm, wenn Kinder nie positiv bestätigt wurden und zu früh die Erfahrung gemacht haben, dass es sich nicht mehr lohnt, mitzumachen, nur weil man mal Dritter oder Fünfter geworden ist.“ Hier merkt man deutlich, dass das klassische Konkurrenzdenken der Erwachsenenwelt eingreift – gut oder schlecht, Erfolg oder Misserfolg. Kein Wunder, dass so dann oft Bewegungsmuffel entstehen.
Grießhammer geht es dagegen nicht darum, Druck von oben aufzubauen. „Wenn jemand nicht gerne springt, sage ich nicht noch: ,Spring!‘.“ Er versucht, auf spielerische Art und Weise bestimmte Bewegungsreize zu setzen, baut Phantasiewelten auf, lässt über Burggräben hüpfen. „Ich versuche, das Bewegungsumfeld so zu gestalten, dass das Kind immer wieder üben kann – ohne es selbst zu merken.“
„Ein bewegungsförderndes Umfeld ist sowohl in der Arbeit mit Kindern wie auch mit Erwachsenen eine zentrale Voraussetzung“, sagt Orbach. Stimmen die Voraussetzungen, sucht sich das Kind (bzw. der Mensch) seine Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben selbst. „Durch aktives Sich-Ausprobieren lernen und entwickeln wir uns und ein Leben lang“, weiß der Körpertherapeut. Dabei ist es möglich, neuronale Verschaltungen zu intensivieren und sogar neue Nervenzellen zu bilden. Die Gefühlswelt ist ebenfalls eng mit Körper und Bewegung verbunden, sozusagen „verkörpert“. Dies kann in der Therapie genutzt werden. „So wie ich mich bewege, so fühle ich mich – und umgekehrt.“
Seine 45- bis 60-minütigen Therapieeinheiten teilt Grießhammer in zwei Phasen: In der extensiven Phase lässt er die Kinder wild umherrennen. Sie spielen Fangen, powern sich erstmal aus. „Wenn ich merke, dass sie langsamer werden und Ruhe rein kommt, beginne ich mit der intensiven Phase“, sagt der 36-Jährige. Dann kommen verschiedenste Materialien zum Einsatz: Bunte Teppichstücke, Seile, Bälle, Schaumstoffklötze – die Schränke im Raum der Bewegungstherapie beherbergen wahre Schätze, um der Phantasie freien Lauf zu lassen. Zusammen mit seinen jungen Patienten schafft er dann immer wieder neue Umgebungen, um bestimmte Bewegungen üben zu können. Dann wird nicht Basketball im klassischen Sinne gespielt, sondern ein leerer Mülleimer dient als Ziel für Bierdeckel. „Ich möchte einen Raum schaffen, in dem sich die Kinder und Jugendlichen wohlfühlen können und nicht schämen.“ Die Wertschätzung des Therapeuten und der Mitpatienten spielen dabei eine große Rolle. Diese Wertschätzung sollte immer die Anerkennung der gesamten Person zum Ziel haben. Sie wird durch den Therapeuten modellhaft vorgelebt und im Idealfall von den Mitpatienten übernommen.
Während der Therapie sitzt Grießhammer passiv in einer Ecke des Raums, beobachtet, diagnostiziert und dokumentiert. „Bemerke ich zum Beispiel, dass ein Kind Schwierigkeiten bei der Hand-Augen-Koordination hat, weil es den Ball immer wieder nicht fangen kann, gebe ich das in der großen Besprechung auch an die Kollegen des Multiteams weiter. Gemeinsam arbeiten wir dann umfassend daran.
Körpererfahrungen führen zu Ich-Kompetenz, Sacherfahrungen zu Material-Kompetenz und Sozialerfahrungen zu Sozial-Kompetenz. Gerade in Bezug auf Sach- und Sozialerfahrungen lernen die Kinder vieles voneinander, was für Grießhammer zu den schönsten Gruppentherapieerlebnissen gehört. Fair mit Mitspielern umgehen, an Regeln halten, zuhören, Frustration verarbeiten. „Das wirkt in viele andere Lebensbereiche positiv ein - ob Schulunterricht oder privates Umfeld“, weiß Grießhammer. Die meisten seiner Patienten könnten aufgrund fehlender Sozialkompetenz nicht ohne weiteres in einen Sportverein eintreten. „Das müssen wir erst gemeinsam lernen. Wir versuchen, Mechanismen gegen den inneren Frust zu entwickeln.“ Eine Vor- und Nachbesprechung bei sportlichen Spielen, wie Fußball, ist unerlässlich. „Wenn jemand während des Spiels in eine ,innere Not‘ gerät, weil seine Mannschaft gerade das nächste Tor kassiert hat, sprechen wir offen darüber, was ihm in der Situation helfen würde. Auf die Bank setzen, einen Schluck trinken oder einfach zu mir kommen.“
Sportangebot für Kinder und Jugendliche:
- Klettertherapie
- Tanztherapie
- Sportgruppen:
- Basketball
- Yoga (Body and Soul)
- Tischtennis
- Badminton
- Tabata
- Bounce Ball
- Ball über die Schnur
- Spikeball
- Nordic Walking
- u.v.m.
- Psychomotorik
- therapeutische Fußballgruppe
- Einzeltherapie
Sportangebote für Erwachsene:
- Gymnastische Angebote: Rückenschule, Yoga, Qi-Gong
- Fitnesstraining: ausdauerorientiert (Kardiotraining), Krafttraining an Geräten
- Moderates Ausdauertraining: Nordic Walking, Ergometer-Training
- Rückschlagspiele: Badminton, Tischtennis
- Kleine und große Sportspiele: Ballsportarten (z.B. Basketball, Volleyball etc.), Freizeitspiele (Wikingerschach, Frisbee etc.)
- Körperorientierte Wahrnehmungsangebote: Barfußlaufen, Waldbaden, Entspannungsgruppen
Wie motiviert man Patienten zur Bewegung, wenn sie keinen Antrieb haben?
- Einladende Atmosphäre schaffen
- niedrige Einstiegsschwelle
- kein Leistungsdruck
- persönlicher Kontakt
- alles im Tempo des Patienten
- möglichst an Vorerfahrungen anknüpfen (die Patienten da abholen, wo sie aktuell stehen)
- ein „nein“ akzeptieren
Auswirkungen von Sport auf den Körper:
- Ein körperlich aktiver Lebensstil steigert nachweislich sowohl die Qualität wie auch die Länge unseres Lebens.
- Dazu können klassische Sportarten beitragen, aber auch andere den Körper fordernde Aktivitäten (Job, Hobbys, Haus- und Gartenarbeit etc.)
- Im Körper lassen sich durch sportliche Aktivität bekannte Effekten wie Steigerung der Ausdauer oder der muskulären Kraft erzielen. Neuere Untersuchen zeigen, dass darüber hinaus auch nahezu alle großen Stoffwechselprozesse positiv beeinflusst werden.
- Sport und körperliche Aktivität sind daher präventiv wirksam bezüglich der großen Volkskrankheiten wie z.B. Herz-Kreislauferkrankung, Diabetes Mellitus etc.
Auswirkungen von Sport auf die Psyche:
- Körperlich aktive Menschen haben ein statistisch geringeres Risiko, beispielsweise an Depressionen zu erkranken.
- Als Teil der Gesamtbehandlung spielen Sport- und Bewegung in der therapeutischen Behandlung aller psychischen Erkrankungen eine wichtige Rolle.
- Sport aktiviert, fördert das Wohlbefinden und bringt uns in einen lebendigen, sinnlichen Kontakt mit unserem Körper, unseren Mitmenschen und der Umgebung.
- Auch Selbstwirksamkeit lässt sich im Sport „hautnah“ erleben: wenn ich im Training bleibe, stellen sich schon bald fühlbare Verbesserungen ein. (z.B. weniger Abgeschlagenheit, besseres Körperempfinden oder messbare Leistungssteigerung)
Wie findet man den für sich passenden Sport?
- Internet und soziale Medien als Informationsquellen nutzen
- Ausprobieren, ob die Art der Bewegung Spaß macht
- Den Sport zunächst nicht mit überhöhten Zielen (z. B Gewichtsreduktion) belasten
- Gemeinsam mit Freunden oder Bekannten beginnen
- Über die klassischen Sportarten hinausdenken: Auch Gartenarbeit oder sportliche Hundespaziergänge zählen