Acht verschiedene Plätzchensorten. Mindestens. Die Wohnung muss blitzen, für den Weihnachtsbasar im Kindergarten müssen Socken gestrickt werden, der Kuchen für den Verkauf beim Fußballspiel muss gebacken werden, das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter noch besorgt werden, um 15 Uhr ist die Tochter von der Geigenstunde abzuholen, um 17 Uhr wird dem Sohn beim Fußballspiel zugejubelt. Gute Mütter basteln, backen, putzen, feuern an. Und sie selbst? Sie brennen aus. Nicht genug, dass sich Mütter selbst genug Stress machen – in den sozialen Medien werden sie auch noch dauerbeschallt von andern Müttern, die - scheinbar – all das mühelos schaffen, das mit den acht Plätzchensorten, dem ehrenamtlichen Engagement und dem blendenden Aussehen bei all diesen Dingen (Jogginghose? Gott bewahre!) Sogenannte Mum-Fluencer zeigen uns permanent, wie ein tolles Familienleben aussieht. Gut ist das nicht, sagt Dr. med. Stephanie Tieden.
Stephanie Tieden ist Leitende Oberärztin im Depressionszentrum am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Sie verweist auf die Gefahr für Frauen und Mütter, die mit diesem Druck, dem selbstgemachten unde dem von außen, einher geht. Der Gefahr einer Erschöpfungsdepression.
Mütter stehen unter diesem Druck, sagt Dr. Tieden. „Es ist toll, dass viele Mütter ihre Kinder so sehr lieben, die Zeit mit ihnen genießen und in dieser Rolle voll und ganz aufgehen“, sagt sie. „Wenn sie selbst damit glücklich sind.“ Sie kennt aber auch die vielen anderen Mütter, die „eben nicht das pure Glück, nicht immer volle Mutterliebe und nicht die wahre, einzige Bestimmung im Mutter-Sein finden, die sich deshalb schlecht fühlen, erschöpft und ausgelaugt sind, aber denken, das dürften sie doch aufgrund des puren Glücks, Kinder zu haben, gar nicht sein.“
Muss wirklich alles sein?
Die Gesellschaft erwartet, dass eine gute Mutter liebevoll ist, vollen Einsatz zeigt, sie soll möglichst Teilzeit arbeiten, damit sie am Nachmittag zu Hause sein kann, wenn die Kinder aus der Schule kommen, sie soll zuverlässig und immer greifbar sein, sie soll jeden Tag ein ausgewogenes und warmes Essen auf den Tisch bringen, sie soll ihrer Familie Heimat sein, fröhlich, geduldig und genügsam sein und bei all dem soll sie gut aussehen, sexy sein, tolle Figur, tolles Haar, gemachte Fingernägel haben. Wirklich?
In Deutschland gebe es zwei Idealtypen der Mutterrolle. Einmal die traditionelle Mutterrolle, hier sorgt die Hausfrau für ein liebevolles Nest. Und die moderne Mutterrolle, die Mutter mit einem guten Job, der die optimale Förderung der eigenen Kinder am Herzen liegt. Eins ist allen gemeinsam: Sie stehen unter dem Druck, ihr Lebensmodell verteidigen zu müssen. Entscheidet sich eine Frau dafür, als Hausfrau zu Hause zu bleiben, wird sie als Heimchen am Herd verspottet. Entscheidet sich eine Frau für eine Berufstätigkeit, gilt sie als Rabenmutter. Eine Mutter kann es nur falsch machen.
Blick in die Geschichte
Unsere Sicht auf Mütter hat historische Gründe: Über viele Jahrhunderte war es selbstverständlich, dass Frauen mehr Aufgaben haben, als die Versorgung von Haus und Kindern, im 18. Jahrhundert entstand dann aber das Bild der Hausfrau – ein Bild, das vor allem in wohlhabenderen Schichten geprägt wurde. Ärmere Frauen mussten nämlich auch weiterhin dazu beitragen, mit Arbeit das Überleben der Familie zu sichern. Das Idealbild der Hausfrau und Mutter wurde zunehmend auch politisch gefördert. Frauen aus diesem Milieu sollten gute Staatsbürger zur Welt bringen und erziehen. Den Höhepunkt dieser Sichtweise erreichte man in Deutschland in der Zeit des Dritten Reiches, es entstand ein regelrechter Mutterkult mit Auszeichnungen für Frauen, die viele Kinder zur Welt brachten. Doch auch nach dem Krieg galt das Kleinfamilienideal Vater-Mutter-Kind – Vati war der Vollverdiener, die Mutti blieb daheim. Mittlerweile zeigt sich, dass die meisten Frauen nach der Geburt eines Kindes in Elternzeit gehen, später in Teilzeit erwerbstätig sind und sich weiter hauptverantwortlich um Kinderversorgung und Haushalt kümmern.
Was die Mütter heute so auslaugt, habe verschiedene Gründe, so Dr. Tieden. Zum einen eine gewisse Erwartungshaltung, wie man als Mutter zu sein habe – die Erwartung der Frau an sich selbst, die Erwartung der Gesellschaft. Zum anderen ein permanenter Vergleich – eine Mutter vergleicht sich nicht nur mit ihren Freundinnen oder Verwandten, sondern auch mit Zufallsbekanntschaften vom Spielplatz und heute auch mit Müttern aus den (sozialen) Medien. Eine perfekte Mutter zu sein verschaffe vermeintliche Anerkennung. Dazu kommt noch, dass heute großfamiliäre Strukturen inzwischen fehlen, und die Frauen weitgehend ohne Unterstützung alleine für die Kindererziehung zuständig sind. Vielfach ist vom mental load der Mütter die Rede, diesem für alles zuständig sein, an alles denken müssen – und gleichzeitig werten sich die Mütter selbst ab, indem sie sich fragen, wie man von „nur Haushalt und Kinder“ so erschöpft sein kann.
Stress durch mental load, das Gefühl des Versagens, den überhöhten Ansprüchen nicht gerecht zu werden, Zeitdruck und Überlastung durch viele Aufgaben und Termine, fehlende Anerkennung, wenig Ausgleich zum Stress, wenig Zeit für sich – das alles kann zusammen langfristig bei manchen auch in eine Depression führen, sagt Dr. Stephanie Tieden.
Wie wird man depressiv?
Wenn sich über einen längeren Zeitraum verschiedene Belastungsfaktoren ansammeln und gleichzeitig wenig oder keine Möglichkeit besteht, diesen Stress abzubauen, läuft irgendwann das Fass über, die Person schafft es nicht mehr, mit all den Stressfaktoren umzugehen und entwickelt depressive Symptome.
Eine Depression zeigt sich durch drei Hauptsymptome: man ist niedergeschlagen, verliert Interesse an Dingen, die einem wichtig waren, man ist erschöpft und hat keinen Antrieb. Dazu kommen Begleitsymptome wie Konzentrationsschwäche, ein geringes Selbstwertgefühl, man fühlt sich wertlos, hat Zukunftsängste, Schlafstörungen. Einige haben keinen Appetit, andere neigen zu Heißhungerattacken aus lauter Frust. Auch Suizidgedanken können auftreten. Wenn die Hauptsymptome plus einige der möglichen Nebensymptome mindestens zwei Wochen anhalten, spricht man von einer Depression.
Eine Depression muss behandelt werden, sagt Dr. med. Stephanie Tieden. Erste Anlaufstelle können hier die Hausärzte und –ärztinnen sein, Ansprechpartner sind auch Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten, auch die Experten im Bezirkskrankenhaus Bayreuth bieten Hilfe. Nicht immer muss hier gleich eine stationäre Behandlung erfolgen, in der Psychiatrischen Institutsambulanz sind auch ambulante Behandlungen möglich, außerdem gibt es tagesklinische Plätze.
Dr. Tieden verweist aber auch darauf, dass Mütter selbst Stress entgegen wirken können. In erster Linie dadurch, dass sie ihre Anforderungen hinterfragen: Was genau macht Druck? Ist der Anspruch gerechtfertigt? Was ist mir wirklich wichtig? Was nicht wichtig ist, darf ignoriert werden. „Meistens ist eine farblich perfekt abgestimmte Deko beim Kindergeburtstag übrigens nicht wirklich wichtig“, sagt Dr. Tieden augenzwinkernd. Es gilt auch zu fragen, was die Kinder wirklich brauchen. Muss es der Babyschwimmkurs sein oder der Sprachkurs im Kindergarten? Die Kinder brauchen auch keine ständige Bespaßung durch die Mütter – entwicklungspsychologisch ist Langeweile sogar wichtig um Interessen und Entdeckerfreude auszubilden. Und: Es muss auch nicht jeder Kuchen selbstgebacken und jede Sache selbst gebastelt sein. Den Kindern ist das nämlich meist gar nicht so wichtig.
Aufgaben auflisten und verteilen
Um mental load zu reduzieren hilft es auch, einmal alle anfallenden Aufgaben aufzulisten. Das macht bewusst, was alles geleistet wird und wer es leistet (hierzu gehört auch das Denken an und Organisieren von Arztbesuchen, der Kauf der neuen Winterschuhe und das Besorgen von Geburtstagsgeschenken). Gegebenenfalls müssen Aufgaben dann auf mehrere Schultern verteilt oder vielleicht gestrichen werden. Hier gilt es, dies anzusprechen – „andere werden nicht von sich aus die Überforderung erkennen und lösen wollen, dies mitzuteilen ist Voraussetzung für Veränderung“, so Dr. Tieden. „Es geht hier dann auch nicht um eine exakt gleiche Aufteilung von Aufgaben, sondern um eine Aufteilung, mit der alle zufrieden sind.“ Die Psychiaterin weist weiter darauf hin, wie wichtig es ist, dass man für sich selbst gut sorgt. „Nur wer seine eigenen Kraftreserven auffüllt, kann auch Energie für andere aufwenden.“ Indem eine Mutter das tut, ist sie sogar Vorbild für die Kinder. „Will man seinen Kindern wirklich vorleben, dass eigene Bedürfnisse nicht wichtig sind?“ Sie rät den Frauen, herauszufinden, was ihnen ganz konkret gut tut und Stress reduziert. Ideen wären beispielsweise Spaziergänge, Sauna, Sport, Schwimmen gehen, Freundinnen treffen, persönlichen Hobbies nachzugehen, Atemübungen zu machen, zu meditieren. Und sie rät, achtsam zu sein, im Hier und Jetzt zu leben. Familie kann nur funktionieren, wenn es allen Beteiligten gut geht. Auch den Mamas.
In seelischen Notlagen oder psychischen Krisen kann man sich rund um die Uhr und kostenfrei an den Krisendienst Oberfranken wenden: 0800/6553000.